Prinzipien der Integrativen Neuropsychologie

Behandlungsziel ist die Wiederherstellung des persönlichen Gleichgewichts zwischen Anforderungen und Möglichkeiten des Lebens auf der einen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Person auf der anderen Seite.

Alle Faktoren einschließend

Neuropsychologische Störungen entstehen direkt durch eine Schädigung des Gehirns (Hirnfunktionsstörungen) und indirekt durch das Erleben der Schädigung (Störungen der Krankheitsbewältigung).

Sie zeigen sich als Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit (Wahrnehmen und Erkennen, Aufmerksamkeitsfunktionen, Gedächtnisfunktionen, Exekutivfunktionen, visuell-räumliche Funktionen), als Störungen des Verhaltens (Antrieb, Selbst-/Impulskontrolle, Verhaltenssteuerung) und als Störungen des Erlebens (emotionales Empfinden, emotionale Steuerung).

Zwischen allen Funktionen bestehen Wechselwirkungen. Sollte der seltene Fall eintreten, dass nur eine Funktion (z.B. die Konzentration) beeinträchtigt ist, kann dies dennoch auch die Leistung in anderen Funktionsbereichen (z.B. das Lernen oder Planen) verschlechtern.
Neben einer umfassenden Analyse möglicher Störungen erfolgt auch die Erfassung erhaltener Fähigkeiten, um Risiken (Maskierung tatsächlicher Funktionsverluste) und Chancen (Ressourcen für die Therapie) zu erkennen.

Störungen der kognitiven Funktionen stören die Handlungsfähigkeit im Alltag:
Es treten Probleme bei der Bewältigung von Anforderungen auf, die bislang wie selbstverständlich erledigt wurden.
Es kommt zu unerwarteten Rückmeldungen, Missverständnissen und Konflikten mit anderen Menschen.

Alle Aktivitäten kosten mehr Kraft, mehr Anstrengung und oft auch mehr Zeit als gewohnt. Die Mühe, die man aufbringt, wird nicht in passender Weise belohnt – das belastet die Stimmung.
Es kann zu einem Verlust an Selbstbestimmtheit, Verantwortung und Einfluss kommen – oft verbunden mit persönlicher Kränkung.
Auch Schwierigkeiten im Rehabilitationsprozess – fehlende Behandlungsmöglichkeiten, strittige Anerkennung von Unfallfolgen etc. – stellen eine Kränkung und zusätzliche Belastung dar.

Die Summe der Belastungen ist ein Risiko für die Rehabilitation. Sie kann weitere Störungen bzw. Erkrankungen (Selbstunsicherheit, Angst, Depressivität) verursachen.

Zu Beginn der integrativen neuropsychologischen Behandlung erfolgt daher eine umfassende Problemanalyse, die die Gesamtsituation des Menschen mit allen ihren Belastungen und Ressourcen abbildet.

Alle Methoden einschließend

So vielfältig, wie sich neuropsychologische Störungen auswirken, so vielfältig muss ihnen entgegen gewirkt werden.
Nachfolgende Tabelle lässt erkennen, wie die Methoden der Neuropsychologie systematisch genutzt werden können, um das Gleichgewicht zwischen Anforderungen des Lebens auf der einen und eigenen Fähigkeiten auf der anderen Seite schrittweise wieder herzustellen.
Welche Methode wie und wann zum Einsatz kommt, ergibt sich immer aus der ganz individuellen Situation und der jeweiligen Zielsetzung. In der Zusammenarbeit mit dem Patienten, der Patientin entsteht ein „lebendiger“ Behandlungsplan, der gemeinsam immer wieder überprüft und optimiert wird.

Neuropsychologische Interventionen

Auf Integration ausgerichtet

Oberstes Behandlungsziel ist es, jedem kranken oder behinderten Menschen ein Maximum an Selbstbestimmtheit, Selbstständigkeit im Alltag und Teilhabe zu ermöglichen. Alle Maßnahmen der Integrativen Neuropsychologie sind daher darauf ausgerichtet, dass wieder die Aktivitäten im täglichen Leben übernommen werden können, die für Gesunde selbstverständlich sind:

  • Für sich selbst sorgen und sich schützen können
  • Einen Haushalt führen, ggf. eine Familie versorgen
  • Mobil sein, sich sicher im Straßenverkehr bewegen, Verkehrsmittel nutzen können
  • Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen und erhalten können
  • sich im Kontakt mit anderen behaupten, Konflikte oder Probleme lösen können
  • Hobbies wählen und ausüben, am Leben in der Gesellschaft teilnehmen können
  • Schul- und Ausbildungen absolvieren
  • eine Berufstätigkeit ausüben können

Nicht Störungen, sondern Ziele bestimmen den Behandlungsplan:

Welche neuropsychologischen Anforderungen verbinden sich mit einem konkreten Ziel?
Welche Fähigkeiten und welche Bedingungen werden gebraucht, um es zu erreichen?

Diese Blickrichtung ermöglicht den kürzesten (Lern-)Weg zur Lösung:
Analysiert und trainiert wird das, was der Patient, die Patientin im Alltag wieder können möchte.

Auf Ausgleich bedacht – der Behandlungsprozess

Solange man gesund bleibt, ist das Zusammenspiel von „Gehirn und Person“ immer auf Ausgleich bedacht. Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns ein Leben lang entwickeln, im Kindesalter steigenden Anforderungen und im höheren Lebensalter einem schleichenden Verlust von Fähigkeiten anpassen können. Auf langsame Veränderungen ist das System eingestellt.
Schnelle Veränderungen, wie sie durch eine Erkrankung oder einen Unfall eintreten, überfordern das System. Es braucht Möglichkeiten, um reale Erfahrungen zu sammeln, die Veränderungen zu begreifen und Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Im natürlichen Leben stehen diese Möglichkeiten nicht in geeigneter Weise zur Verfügung.
Anforderungen des Alltags und Erwartungen des Umfelds, die nicht auf das individuelle Störungsprofil und die individuelle Entwicklungsdynamik abgestimmt sind, gefährden die Rehabilitation.
Ein wesentliches Element der Integrativen Neuropsychologie ist daher das (neuropsycho)therapeutische Case Management. Sein Ziel ist es, die Wiedereingliederung wie ein Spurassistent kontinuierlich vor Überforderung einerseits und Unterforderung andererseits zu schützen. Auf der Grundlage einer neuropsychologischen Umfeldanalyse können therapeutische (Beratung, Unterstützung) und rechtliche (zB Nachteilsausgleiche) Möglichkeiten zur Absicherung des Rehabilitationsprozesses und der langfristigen Teilhabe ausgeschöpft werden.